Karitative Wirtschaftsformen sind nicht nachhaltig
Eine Betrachtung zum Niedergang der witzenhäuser Fahrradselbsthilfewerkstatt
Als ich 2015 nach Witzenhausen kam, freute ich mich sehr, hier die kürzlich gegründete Fahrradselbsthilfewerkstatt, das Radhaus, vorzufinden. Als leidenschaftlicher Radfahrer, für den das Rad Hauptverkehrsmittel ist, war ich schon immer gewohnt mein Rad selber zu schrauben.
Auf meinem Lebensweg hatte ich schon verschiedene Selbsthilfewerkstätten kennen gelernt, so auch bereits in Celle, meiner Geburtsstadt. Dort war sie an das soziokulturelle Zentrum Buntes Haus angegliedert. Einmal in der Woche öffnete sie die Türen für die Öffentlichkeit zu ihrer entspannt-gemütlichen Schrauberatmosphäre. Die Reparatur und Pflege der stylischen Holland-Oldtimer, die optimal für das flache Stadt-land geeignet sind, war dort Herzensangelegenheit, ebenso wie die Erchaffung von praktischen Lastenrädern für die Logistik der kleinen Alternativkultur.
In Oldenburg war die Selbsthilfewerkstadt direkt in der Uni Zuhause. Von den regulären Studienbeiträgen konnte eine stattliche Werkstatt mit 5 Schrauberplätzen betrieben werden inklusive einer Auszahlung von regulären Gehältern an die Selbsthelfer.
Im Laufe der Jahre baute ich mehrere Fahrräder für mich und Freunde auf, und entwickelte eine Sicht auf das Fahren mit dem selbst-instandgehaltenem Rad als eine Ausdrucksform der freien Einheit von Geist und Materie.
In Witzenhausen war ich zunächst verwundert über den Träger des Radhauses. Der kirchliche Träger, die Diakonie, machte mich eher misstrauisch. Martin Röder hatte es erst kürzlich initiiert (Die Gründungsgeschichte 2014/11).
Als Fan von Commons Based Peer Production, die mir einst Friederike Habermann auf einer Umsonstladen Konferenz vorgestellt hatte war ich aber bereit über meinen ideologischen Schatten zu springen und betätigte mich über Jahre, wenn auch mit langen Pausen, als Helfer zu den regulären Öffnungszeiten.
Nach guten 10 Jahren werden nun die inneren Widersprüche überdeutlich und ein weiterer Betrieb scheint nicht mehr möglich. Die Diakonie finanzierte das Radhaus mit Geldern aus der Flüchtlingsberatung. Mitte der letzten Dekade gab es einen großen Zustrom von Flüchtlingen und die Hilfsbereitschaft im Werra Meißner Kreis war groß.
Die Motivation der Helfer zur Mitarbeit, für die so gut wie keine Aufwandsentschädigung gezahlt wurde, schwankte zwischen einem Nutznießen der guten technischen Infrastruktur und einem Dienst am Mitmenschen im Sinne der Schaffung von gutem Karma bzw von Diakonie und Büßertum im kirchlichem Sinn oder dem Wunsch zur Ausgestaltung einer menschlicheren Welt. Die einzige bezahlte Stelle, war die der Koordination, die letztenendes ihre Hauptaufgabe, die Mitteleinwerbung, auf Grund der politischen Gegebenheiten nicht mehr erfüllen konnte.
Die Gelder der Diakonie waren nur weitervermittelte Bundesmittel für die Flüchtlingshilfe. Die kürzliche politische Bankrotterklärung des Bundes gilt auch für die zugrundeliegenden philosophischen Konzepte, mit denen auch die neue Regierung mit Sicherheit wieder gegen die Wand fahren wird. Es ist völlig absurd, wenn mit zwangseingezogenen Geldern Kriege finanziert werden. Das ist einer Zivilisation unwürdig. Es ist nicht das eigentliche Problem, das dadurch manch soziales Projekt nicht mehr finanziert werden kann. Das eigentliche Problem ist die (Co-)Abhängigkeit der sozialen Projekte von der Zangsabgabe der Steuern. Daß sich im Gesundheitssektor aus den Zwangsabgaben eine riesige profitorientierte Industrie gebildert hat, die somit den Interessen des Menschen, strukturell gesehen, diametral gegenübersteht ist ein anderes riesen Thema.
Eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist im karitativen Stil (also dem sponsoring durch dritte von sich nicht-selbsttragenden Projekten) nicht möglich. Sie steht und fällt mit den wechselnden Schwerpunkten der jeweils herrschenden Gruppe der Oligarchie. Commons, die von einer Zwangsabgabe (Steuern) abhängig sind, fördern im Effekt eher das herrschaftliche Prinzip als die freie Entwicklung.
Da das Radhaus eine Ausgründung einer Institution war, und nicht auf einer Organisation freier Individuen beruhte, war es sowieso kein Commons im eigentlichen Sinn, sondern nur eine Illusion dessen. Das Kernelement einer Commonswerkstatt, die gemeinschaftliche Organisation kam daher gar nicht erst zum Aufbau. Es kam soweit, daß sogar die Verantwortlichkeit für die Instandhaltung des Werkzeugbestandes nicht mehr getragen wurde. Erstaunlicherweise schaffte es das Radhaus dennoch ein gutes halbes Jahr den Betrieb aufrecht zu erhalten, selbst ohne funktionierende Pumpe. Es fehlte eine gefühlte Notwendigkeit für den Betrieb angemessene Beiträge einzuwerben (das Geld kam ja so oder so). Für reparierte und verkaufte gegen Spende abgegebene Fahrräder wurde kein Lohn berechnet, die Arbeit geschah ja rein aus Nächstenliebe.
Die institutionell bedingte Fokussierung auf ein karitatives Helfen führte zu einer Resonanz der Kultur der Mangels und der Hilfsbedürftigkeit. Selbstständigere Leute, die Interesse an qualitativ hochwertigeren Reparaturen haben wurden durch diese Atmosphäre eher abgeschreckt.
Dass die Koordination es erst einen Monat nach Förderungsende schaffte, das weitere Netzwerk zu informieren ist ein Zeichen für das institutionelle Desinteresse an der eigentlichen Funktion einer Fahrradselbsthilfewerkstatt: Der Unterstützung bei dem Verständnis des Rades und somit einer Steigerung der Kohärenz von Geist und Materie.
Wie weiter?
Wie das Beispiel des Radhaus` zeigt, ist eine karitative Projektförderung nicht mehr zeitgemäß. Selbst bei einem anderen Träger bestünden die gleichen strukturellen Probleme weiter. Für ein Commons Projekt ist es unabdingbar, dass sich die Mitarbeitenden vollverantwortlich für den laufenden Betrieb fühlen. Es muss also durch sich selbst getragen werden.
Um einen gesamtgesellschaftlichen energetischen Ausgleich zu ermöglichen, somit langfristige finanzielle Stabilität erreichen, müssen alle gesellschaftlichen Schichten von dem Angebot angesprochen werden, nicht nur die finanziell Randständigen.
Für das Radhaus bedeutet das dort auch höherwertige Reparaturen und Modifikationen auf aktuellem technologischen Stand ermöglicht werden sollten. Neben Modifikationen sind durchaus auch Neukonstruktionen denkbar. Um die in Witzenhausen zahlreich vorhandene Zielgruppe der ökologisch bewussten angehenden Landwirte anzusprechen, macht es Sinn das erlernen von Fähigkeiten anzubieten, die auch in ihrem späteren beruflichen Leben zur Anwendung kommen können. Das ist in erster Linie die Fähigkeit zum Selbstbau geländegängiger e-bikes, emo-fas und e-Lastenräder, sowie landwirtschaftlicher Maschinen jeder Art. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt wie die französische landwirtschaftliche Selbstbauorganisation L’Atelier Paysanne vormacht. Der schlagende Vorteil des Selbstbaus solcher Geräte aus wiederverwertbaren Standardteilen ist ihre prinzipiell ewige Haltbarkeit.
Ein wesentliches Hindernis zum Betrieb von freien Orten ist das Eigentum von Raum in profit-orientierter Hand. Zu einem an der gesellschaftlichen Entwicklung orientierten Ort, im Sinne einer Entfaltung in Resonanz mit den natürlichen Gesetzmäßigkeiten, gehört auch eine resonante Eigentumsform. Energien können ansonsten nicht im Gleichgewicht an diesem Ort gehalten werden und fließen an einen externen Akteur zu dessem alleinigem Profit ab.
Ein auf lange Sicht stabiler Betrieb würde also erfordern:
☉ Kurzfristig: Ein selbstorganisiertes Betriebsteam, das bereit und in der Lage ist auf aktuellem technischem Niveau zu arbeiten sowie Verantwortung für Ort und Betrieb zu übernehmen
☉ Mittelfristig: Eine Modernisierung und Aufrüstung der Werkstatt: Spezialwerkzeug und Diagnoseapparate für gängige Ebikemodelle, Standbohrmaschine, Standsäge, Schutzgasschweissgerät, Kompressor, Erneuerung abgenutzter Werkzeuge
☉ Langfristig: Kauf der Werkstatt oder Umzug in Räume außerhalb des Marktes
